Die erste Nacht im Zelt! Das Gefühl direkt in der freien Natur aufzuwachen gab mir ein gutes Gefühl. Ein gemütliches Frühstück, Frühsport an der frischen Luft und dann ging ich mit einem Gefühl von Abenteuerlust wieder den kleinen Pfad hinauf zur Raststätte. Ich fühlte mich jetzt schon wie ein großer Abenteurer. Ich hatte gute Laune und es dauerte keine fünf Minuten bis ich zwei ebenso gut gelaunten Österreichern begegnete, die sich mit zwei Croissants und drei Bier bewaffnet hatten. Auch wenn ich das mir angebotene Frühstücksbier dankend ablehnte, wollten sie mich nach Wien mitnehmen. Ich entschied mich dazu, direkt bis nach Wien mitzufahren, um mir ein bisschen die Stadt anzuschauen. Das war der erste Fehler in der Kette…
Von der Wiener Innenstadt brauchte ich nach einem kurzen Zwischenstopp eine gute Stunde, um mit Bus und Bahn an eine Raststätte am Rand von Wien zu kommen. Der Platz war mehr schlecht als recht und die meisten Leute an dieser Tankstelle blieben in Wien und Umgebung. Daher bastelte ich mir ein Schild mit der Aufschrift „Budapest“ und stellte mich vor die Tankstellenausfahrt zur Autobahn. Nach etwa einer Stunde fuhr ein Slovake mit seinem Geländewagen ran. Er konnte kein Englisch, aber ein paar Brocken deutsch und das reichte um ihm zu erklären, dass ich nach Budapest wollte. Er war auf dem Weg nach Bratislava in der Slovakei. Daher verständigten wir uns darauf, dass er mich vor der Abzweigung nach Bratislava an einer Raststätte rauslässt. Nach 10 Minuten kam eine Raststätte und ich erklärte ihm, dass er mich hier rauslassen kann, da ich hier schon einen deutlich besseren Platz hätte. Er war sich jedoch sicher, dass später vor der Abzweigung nach Bratislava noch eine weitere Raststätte komme, die noch besser sei. Da er sehr überzeugt klang, stimmte ich zu und wir fuhren weiter. Leider kam die besagte Raststätte nicht mehr und plötzlich war ich auf dem Weg nach Bratislava in der Slovakei! So etwas will man beim Trampen auf jeden Fall vermeiden! Der slovakische Fahrer blieb jedoch entspannt und meinte: „Egal, ich fahr dich einfach an die slovakisch-ungarische Grenze, das ist dann auch Richtung Budapest.“ Nach einem Blick auf die Karte stellte ich fest, dass ich das versuchen könnte. Ich war also auch noch relativ zuversichtlich. Ohne zu ahnen wie schwer es werden würde ging es also auf in die Slovakei!
Gegen 4 Uhr kamen wir dann an der slovakisch-ungarischen Grenze an. Es war schon ein etwas unbehagliches Gefühl hier mit Rucksack an einem ausländischen Grenzübergang zu stehen und von diesem Punkt an ging es auch bergab…
Spontan sprach ich einen jüngeren Typen an, ob er nach Budapest fahre: „Ahm sure, no problem.“ – „Cool, can I go with you?“ – „No problem, sure.“ Er wollte sich gerade umdrehen, um zu seinem Auto zu gehen. Da fügte er hinzu: „Ehm, there is just a little problem. I have to make some phone call to solve some problem, 5 minutes then we can go.“ – „Ja kein Problem!“, dachte ich während der Typ zu zwei deutlich älteren Kollegen ging, um sich offenbar daran zu machen ihr „kleines Problem“ zu lösen. Also wartete ich… und wartete… und wartete. Nach einer halben Stunde fuhren die drei ihr Auto ein Stückchen zur Seite und der junge Typ kam wieder auf mich zu. Auf einmal wirkte er nicht mehr so entspannt wie noch vor 30 Minuten. Sie waren Tschechen und seien auf dem Weg nach Rumänien. Sie hätten nur ein kleines Problem, das sie noch lösen müssten. Sonderlich überzeugend klang er dabei nicht. Aber okay, da es ja auch bald dunkel wird, habe ich sowieso nicht viele andere Alternativen.
Eine Stunde später waren sie immer noch am diskutieren und in ihrem Verhalten waren sie mir auch nicht mehr so ganz geheuer. „Just five minutes! Fucking five minutes“ hörte ich mich sagen, während ich an diesen dunklen Grenzübergang wartete, wo ich eigentlich gar nicht sein wollte. Ich war ein bisschen wütend auf den jungen Tschechen, denn hier in der Dunkelheit waren meine Chancen eine andere Mitfahrgelegenheit zu finden drastisch gesunken. Da ich warten nicht ausstehen kann, entschloss ich mich irgendwann dazu, im Dunkeln doch wieder Leute anzusprechen und jemand anderes zu finden.
Ich ging auf die Leute zu: „Hello, do you speak english?“ Nicht gerade erfolgsversprechend, aber irgendwas musste ich ja tun. Verständlich, dass die Leute er abweisend und skeptisch waren. Nach einer weiteren bitteren Stunde fand ich einen LKW-Fahrer, der zögerlich zustimmte mich mitnehmen zu können. Er mache nur noch schnell Pause. Schnell kenn ich ja mittlerweile. 10 Minuten später kam er zurück und erklärte mir in gebrochenem Englisch ich solle ihm jetzt 5 Euro geben, dann nehme er mich mit. „Directly to Budapest?“, fragte ich. „No only one hour from here…“ Dankend lehnte ich ab. Meine Zuversicht schwand immer weiter, während die Frustration immer größer wurde, aber was blieb mir anderes übrig als weiterzufragen.
Schließlich traf ich einen dicklichen älteren Bulgaren, der meinte „Yes why not… But I am going really slow because I am following my friend in a truck.“, fügte er hinzu. „Alles ist besser als weiter hier im Dunkeln zu steheh und zu warten“, dachte ich mir. Also stiegen wir in seinen alten schwarzen Mercedes. „We need to wait for my friend, we will drive after him.“ Ich war nicht wirklich in der Stimmung mich zu unterhalten und wirklich wohl fühlte ich mich auch nicht während wir in seinem Auto warteten. Nach 5 Minuten kam ein schlaksiger Mann mit Wintermütze und grimmiger Miene auf unser Auto zu. Er war so um die 60 und schien in äußerst schlechter Laune zu sein. Er ging zu meiner Fensterscheibe und fing an sich wütend mit dem anderen Bulgaren zu streiten. Es ging um mich, hatte ich das Gefühl. Als der Kollege wieder weg war, fragte ich vorsichtig nach, worum es denn ging. „He is just in a bad mood.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „He was asking why I am taking you… It’s actually his car and he is pretty stressed…“ – „What did you answer?“, fragte ich zurück. „I said, to have conversation so that I will not fall asleep.“ – „Good answer“, antwortete ich und wir fuhren los. Wir fuhren jedoch nur ein paar Meter weiter auf die Autobahn und warteten dann am Straßenrand weiter auf seinen Freund. Wir warteten etwa eine halbe Stunde, dann klingelte sein Handy. Er verpasste es jedoch rechtzeitig abzuheben und es war niemand mehr dran. Also warteten wir weiter. Nach einer weiteren halben Stunde versuchte er seinen Kollegen zurückzurufen. „No service“. Mittlerweile war es 20 Uhr und meine Ungeduld verwandelte sich langsam in ein Gefühl von Verzweiflung. Ich fragte mich warum wir solange warten mussten. Auf einmal sah hinter dem Auto jemanden mit einer Taschenlampe, der sich dem Auto näherte. Es war ein ungarischer Polizist, der fragte warum wir hier auf dem Seitenstreifen stehen und wies uns an weiterzufahren, es gebe einen Parkplatz nach 5km. Mit etwa 50km/h schlichen wir also los, auf der Suche nach dem besagten Parkplatz. LKWs hupten uns aggressiv an. „Get outta my face“ raunte der Bulgare und fuhr auf den Seitenstreifen um die LKWs überholen zu lassen. Doch der Parkplatz tauchte nicht auf, also entschloss sich der Bulgare doch wieder auf den Seitenstreifen zu fahren, um dort weiter zu warten. „I hope they won’t come again!“
Nun begann die ganz große Zeit des Wartens. Ich spürte, dass ich keine Geduld mehr hatte und nur noch gereizt war, da der Bulgare keinerlei Anstalten machte, irgendetwas zu unternehmen. Als wir bereits seit zwei Stunden warteten und nichts dafür zu sprechen schien, dass wir in weiteren drei Stunden hier nicht immer noch stehen würden, fing ich an mir Alternativen zu überlegen. Ich hatte schon vergeblich versucht, den Bulgaren zum Weiterfahren zu bewegen. Ich hatte wirklich keinen Nerv mehr. „Vielleicht kann aussteigen und hier draußen irgendwo schlafen…“, dachte ich mir. Ich machte die Türe auf um mich draußen umzuschauen. Wir waren auf einer Autobahnbrücke in der Dunkelheit von Ungarn, und ich sah keine Chance hier irgendwie wegzukommen.
Endlich startete der Bulgare das Auto wieder. Das heißt er versuchte es, aber das Auto sprang nicht mehr an. Durch das lange Warten mit Licht war die Batterie leer geworden. Das schien den Bulgaren jedoch auch nicht zu stören. Ich überlegte und schlug vor, auszusteigen, um das Auto anzuschieben und zum Starten zu bringen. „No, no.“ – „So what is your plan?!“ – „We wil wait.“ Als wir tatsächlich 15 Minuten später ein langes Hupen von einem LKW hörten und wir erkannten, dass das der Kollege des Bulgaren war, war ich ersteinmal heilfroh, dass etwas voran ging. Der Kollege war nun jedoch vollkommen außer sich. Man musste nun wirklich Angst vor ihm haben, denn er schien sich nicht mehr kontrollieren zu können. Wieder hatte ich das Gefühl, dass ein Teil der Wut gegen mich gerichtet war. Er stieg zu mir ins Auto ein und versuchte das Auto zu starten, es funktionierte nicht. Er stieg wieder aus und schlug die Tür mit so einem Knall zu, dass ich Schlucken musste. Ein weiteres Auto fuhr ran und gab uns Starthilfe. Als wir weiterfuhren merkte ich, dass der Bulgare nun auch nicht mehr so entspannt war. „Why I am taking you… why am I taking you.“ – „It’s not my fault.“, merkte ich an, begriff jedoch schnell, dass er mir nicht wirklich die Schuld gab und mir auch nicht böse war. Kurze Zeit später fuhren wir auf eine leere Autobahnrastätte. Wieder warten, dachte ich und kam mir dabei so fehl am Platze vor. Wo war ich da nur reingeraten?! Es kam zu einer weiteren Auseinandersetzung der beiden Bulgaren. Dann kam der Bulgare mit dem ich im Auto gewartet hatte zurück zum Auto und als ich schon beschlossen hatte nicht weiter hier mitzufahren kam der Bulgare zu mir, entschuldigte sich und meinte, dass er mich nicht weiter mitnehmen kann. Sie werden hier bleiben und erst morgen weiterfahren. Alles gut! Er könne ja nichts dafür, meinte ich. Freundlich verabschiedete ich mich von ihm und war heilfroh als ich meinen Rucksack hatte und draußen war. Nun stand ich mitten in der Nacht auf einer einsamen Autobahnraststätte in Ungarn…
Ich sah mich um und checkte die Umgebung. Als ich von den Parkplätzen zu der Tankstelle lief, sah ich aus einer dunklen Ecke einen jungen Mann auf mich zukommen. Er kam auf mich zu und hielt mir ein Smartphone entgegen und nuschelte irgendetwas. Ich winkte ab und machte einen Bogen um ihn. Trostloser Ort, dachte ich mir. Es war ziemlich leer und da keine Autos kamen, schaute ich mich wieder um, ob ich hier vielleicht irgendwo in einem Busch einen Schlafenplatz finden könnte. Auf dem Weg zu einem Gebüsch gegenüber sah ich eine Taschenlampe in einem der Büsche und musste entsetzt feststellen, dass dort offenbar schon Leute waren. Ich hatte keine Ahnung, was das für Leute waren, jedenfalls war es für mich keine Option hier irgendwo im Busch zu schlafen. Wenn es sein musste, würde ich hier die ganze Nacht weiter auf eine Mitfahrgelegenheit warten…
Gute Entscheidung, denn eigentlich musste ich nicht einmal allzu lange warten bis ich einen jungen Fahrer traf, der mich mitnehmen konnte. Damit wendete sich das Blatt und mir fiel ein Stein vom Herzen. Er sprach sehr gut Englisch und war super freundlich. Er war meine Rettung! Er nahm mich bis nach Budapest mit und setzte mich genau an dem Ort ab, an dem ich meine Freundin treffen wollte. Ihm war nicht klar, wie sehr er mir geholfen hatte und froh ich darüber war. Ich wartete dort etwa 10 Minuten, als mich jemand von hinten anstupste und ich mich riesig freute meine Freundin Judit zu sehen. Sie strahlte mich an und wir umarmten uns. Was für eine Erlösung!