Schwarze Nacht (China Pt. 2/6)

Hier sollte meine größte Herausforderung starten. Und ich stand völlig erledigt am Straßenrand der chinesischen Grenzstadt. Es war ein langer Tag gewesen. Doch ich hatte nicht das Gefühl, mein Ziel schon erreicht zu haben. Ich hätte hier aufhören können und sollen. Am Straßenrand hätte ich schon irgendwo einen abgelenen Platz zum Schlafen finden können. So schwer es mir gefallen wäre, das einzusehen, es wäre das Vernünftigste gewesen. Doch ich forderte mein Schicksal heraus. In meinem Zustand konnte ich nur Unheil heraufbeschwören. Aber das sah ich nicht. Ich wollte mein Ziel erreichen. Und wenn ich es die ganze Nacht versuchen müsste.

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Für die einheimischen Uiguren muss ich ein etwas skuriles Bild abgegeben haben. Ein Fremder von weit her mit Rucksack versucht mitten in der Nacht Autos an den Straßenrand zu winken. So langsam überkamen mich doch gewisse Zweifel. Sollte ich es nicht doch besser morgen weiter versuchen und mir einen Schlafplatz suchen? Doch in dem Moment hielten plötzlich zwei Männer. Sie wirkten freundlich und bemüht mir zu helfen. Auf die zwei hatte ich gewartet. Ich zeigte Ihnen meinen chinesischen Brief und sie nahmen ihn in Augenschein. Ob sie alles verstanden, weiß ich nicht, doch etwas davon schienen sie zu verstehen. Sie fuhren mich einmal quer durch die Stadt und ich vertraute ihnen einfach. Auf Nachfragen musste ich ihnen klarmachen, dass ich nicht an den Bahnhof möchte. Woraufhin sie mich an den Stadtrand fuhren und ein Auto, das in meine Richtung fuhr anhielten. Sie hatten verstanden. Ich könnte hier mitfahren, das hatten sie ausgemacht. Es war ein älterer Herr, der eigentlich ganz freundlich wirkte. In dunkelster Nacht stieg ich zu diesem fremden Mann mit Hut ins Auto. Wir fuhren los. Zunächst weiter auf der Hauptstraße. Doch irgendwann kamen wir auf eine kleinere Straße und schließlich fuhren wir auch von dieser Straße ab auf einen kleinen Waldweg. Ich versuchte eine Erklärung für diesen Waldweg zu finden, doch ich fand keine. In der Zwischenzeit waren wir noch einmal links und einmal rechts abgebogen. Dies war nur noch eine Schotterpiste durch einen abgelegenen Wald und ich hatte keine Orientierung mehr. Vielleicht war das eine Art Umleitung. Beunruhigt war ich nicht direkt, aber ich spürte ein etwas mulmiges Gefühl im Bauch. Die Sache kam mir einfach komisch vor und ich war angespannt, weil ich die Orientierung verloren hatte. In der Regel habe ich das Gefühl immer zumindest einen groben Überblick zu haben, aber irgendwie war ich in dem Moment zu kaputt. Er würde schon wissen wo er hinfährt. Doch wir fuhren nicht nach Kashgar. Schließlich verließen wir den Wald wieder und kamen in ein Dorf. Die Straße hier war überraschend belebt. Im Laternenschein waren einige Männer unterwegs. Wir hielten an. Weiter müsse er nicht! Ich solle von hier aus ein Taxi nehmen. Desillusioniert und abgeschlagen stieg ich aus und die Taxifahrer umgarnten mich schon. Wie immer witterten sie viele Dollars in mir. „Was bleibt mir anderes übrig…“, dachte ich resigniert und handelte einen Fahrer auf 30 Yuan herunter. Als ich mich bei dem alten Mann bedankte und verabschieden wollte, blickte mich dieser verdutzt an. „Money, money“ schrie er laut als hätte er Angst seinen Teil vom Kuchen nicht abzubekommen.  „Dein Ernst!?“ Ich blickte ich ihn ungläubig und Kopf schüttelnd an. Ich verlor jeglichen Glauben und gab ihm, die 30 Yuan, die er verlangte. Nun hatte ich noch schlappe 20 Yuan in der Tasche.

Mit dem Taxi kam ich gegen zwei Uhr morgens nach Kashgar. Doch noch hatte ich keinen Schlafplatz. Für ein Hotel würde das mir verbliebene Geld nicht reichen. Angeblich gab es ein einziges günstiges Hostel in der Stadt namens „Camel“. In der Dunkelheit irrte ich durch die mir völlig fremde Stadt. Die Hotels, in die ich ging, waren alle weit außerhalb meines Budgets. Sie kosteten das 10fache aufwärts von dem, was ich noch bei mir hatte. Das angebliche Hostel namens „Camel“ kannte keiner und es befand sich auch nicht an dem Ort, der mir einige Tage zuvor erklärt wurde. Da ich irgendwie einen Platz finden musste fragte ich einem Hotel, ob ich hier irgendwo für einen reduzierten Preis mein Zelt aufschlagen könne. Vielleicht auf dem Dach oder so. Doch als sie merken, dass ich nicht genug Geld hatte, war ihre Freundlichkeit schnell verflogen und ich durfte nicht einmal ihr Internet benutzen. Also irrte ich weiter ziellos durch die dunklen Gassen der Stadt. Es waren noch Menschen auf der Straße, auch Frauen. Daher nahm ich an, dass es sicher für mich sei. Doch irgendwie hatte ich ein seltsames Gefühl. Alles hier war so viel anders als alles, was ich bisher gesehen hatte. Die Leute fuhren hölzerne Schubkarren umher. Doch eigentlich war ich viel zu müde, um das noch richtig wahrzunehmen. Als ich mich abgeschlagen und verlassen die Straße entlang schleppte, hörte ich plötzlich von oben eine Stimme: „Hey! Come here!“

Ich sollte die Treppen hinaufkommen, rief mir eine Frau auf Englisch zu. Sie war ein Gast im „Pamir Hostel“, dem besten Hostel der Stadt und es war gar nicht mal teuer. Ein Bett kostete 40 Yuan. „Hast du ein Zelt?“, fragte mich der Besitzer. Für 20 Yuan könnte ich einfach mein Zelt auf dem Dach aufschlagen. Meine Rettung…!

 

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Ich baute mein Zelt auf dem Dach des Hostels auf und setzte mich davor. Nach einem endlos langen Tag saß ich so eine Weile auf dem Dach und schaute auf die Stadt. „Ich bin jetzt in China“, realisierte ich. Die Luft war angenehm warm und ich fühlte mich zwar müde, war aber noch zu aufgewühlt, um zu schlafen. Ich genoss es einfach mein vorläufiges Ziel erreicht zu haben. Als ich mich endlich schlafen legte, begann es schon zu dämmern und ich hörte die Vögel zwitschern.

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Am nächsten Tag traf ich einen kräftigen brasilianischen Studenten mit sympathischen Zügen. Sein Name war Tales und er hatte es gewagt für zwei Jahre in China zu studieren. Ein großes Abenteuer.
Wir verstanden uns gut und erkundeten in aller Gemütlichkeit die Stadt. Sie war beeidruckend. Eine solche Stadt hatte ich noch nie zuvor gesehen. Es war als wäre man in einer anderen Welt. Fasziniert liefen wir durch die Gassen und vorbei an traditionellen Lehmbauten. Die Menschen auf der Straße waren so freundlich und offen, wie ich es selten erlebt habe. Sie lächelten uns zu und viele meinten wir sollen ein Foto machen. Touristen werden hier offenbar kaum gesehen. In aller Regel gehen sie nur in den Osten Chinas, der nur ein Drittel des Landes einnimmt und eben vor allem aus Städten besteht. Dieser Teil des Landes ist relativ frei von Touristen, doch für mich entdeckte ich eine faszinierende Welt. Die Autome Uigurische Region Xinjiang ist die größte Provinz Chinas und umfasst das historische Gebiet Ostturkistan oder Uiguristan. Dieses Gebiet. Schon in der Vergangenheit war diese Region Gegenstand von Auseinandersetzungen verschiedener Völker. Die indigenen Uiguren behaupten, die Region, die sie als ihr Vaterland betrachten und als Ostturkestan bezeichnen, sei kein Teil Chinas, sondern 1949 von China erobert worden und seitdem unter chinesischer Besatzung. China behauptet, die Region sei seit alter Zeit Teil Chinas und nennt es Region Xinjiang (neues Territorium).

Wie lange dieser Teil des Landes noch für Ausländer zugänglich sein wird ist fraglich. Viele vermuteten, dass es in Zukunft so sein wird, wie heute in der Provinz Tibet: Für Ausländer äußerst schwer zugänglich und auch nur mit chinesischem Führer.

Am Abend saßen wir noch eine Weile auf dem Dach des Hostels und redeten über die wunderbaren Dinge am Reisen, alles, was damit einhergeht, was man dabei erlebt und was man lernt. Danach genoss ich wieder alleine die Ruhe vor meinem Zelt. Sie tat mir gut und ich sammlete wieder Kraft für den großen Trip, der mir bevorstand: Einmal quer durch China.

Nach zwei äußerst erholsamen Tagen fühlte ich mich wieder voller Energie und mich drängte es auf die Straße. Es war schon später Nachmittag und der Australier mit langem weißem Bart, der in dem Hostel für Unterkunft und Verpflegung arbeitete, meinte ich solle doch besser morgen früh los. Aber die Uhrzeit war mir egal, schlafen musste ich sowie so irgendwann und irgendwo. Von daher machte es für mich keinen Unterschied, um wie viel Uhr ich losgehe. Und wenn ich nur ein oder zwei Hundert Kilometer kommen würde, dann wäre das auch gut. Immerhin wäre ich unterwegs und auf der Straße. Ich hatte sowieso eine riesige Distanz vor mir. Eine grobe Route nach Peking hatte ich im Kopf – mit einem kleinen Umweg in tibetanisches Gebiet. Was aber genau passieren würde, wo ich halt machen würde und wie lange ich unterwegs sein würde, wusste ich nicht. Das sollte die Straße entscheiden.

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1 Comment

  1. Brot says:

    Mal wieder wow

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