Als ich die Grenze von Kirigstan nach China zu Fuß überquert hatte, setzten mich die kirgisischen Grenzbeamten in einen LKW mit dem ich bis zum chinesischen Grenzposten fahren sollte. Es war ein abgelegener Grenzübergang in den hohen Bergen des Pamirgebierges. Hier waren ausschließlich LKWs unterwegs.
Pamir-Gebirge von Kirgistan nach China
Mit dem kirgisischen Fahrer fuhr ich also über die Straße des Niemandslands. Der chinesische Grenzposten war etwa 40km landeinwärts, auch wenn wir irgendwie schon innerhalb der chinesischen Grenzen waren. Neben der Straße ragte ein hoher stabiler Stacheldrahtzaun empor, so dass sich niemand von der Straße entfernt konnte. Unterwegs musste ich mehrmals aussteigen, um mit Maschinengewehren bewaffneten Soldaten meinen Reisepass vorzuzeigen.
Als wir an einer endlos wirkenden Schlange von LKWs ankamen, forderte der Fahrer mich auf auszusteigen. Ich verstand nicht wieso, hatte ich doch geglaubt ich könne mit ihm bis in die erste chinesische Stadt fahren. Doch der Fahrer erklärte mir, er würde hier bis heute Abend in der Schlange stehen. Also nahm ich meinen Rucksack und stieg in diesem Niemandsland aus. Ich rätselte, ob das nun schon China oder noch Kirgistan oder keines der beiden Länder war. Jedenfalls hatte ich plötzlich das Gefühl, dass hier mein China-Abenteuer beginnt. Die Tour, auf die ich mich schon seit Monaten freue und vor der ich auch am meisten Respekt habe. 6000km einmal quer durch China, von West nach Ost bis nach Peking trampen. Von der ersten Stadt nahe der kirgisischen Grenze namens Kashgar ist Peking weiter enfernt als Bagdad. Dazwischen liegt die legendäre Taklamakan-Wüste, die zweitgrößte Sandwüste der Erde (nach der Rub al-Chali in Saudi-Arabien) und die gewaltige Gobi-Wüste, die sich China mit der Mongolei teilt.
Hier sind die üblichen Regeln außer Kraft gesetzt.
Zwar bin ich schon 3000km durch die einsamen Steppen von Kasachstan getrampt, doch das war nur die Generalprobe. Das hier war eine andere Hausnummer. Der Westen Chinas ist eine Welt für sich. Im Internet fand ich nicht die Spur einer Information, ob es möglich wäre ein solches Vorhaben in die Tat umzusetzen. Die Leute hier sprechen weder russisch, noch chinesisch, geschweigedenn englisch. Hier leben Uiguren, eigenen Angaben zufolge die Vorfahren der Türken. Sie sind Muslime und sprechen ihre eigene türkische Sprache. Diese Uiguren leben hier für sich in ihrem Land im Westen von Chinas. Wenn kein Chinese zuhört erzählen sie einem, dass dieses Land West-Türkistan heißt und im Grund von China besetzt wird.
In dieser abgeschiedenen Gegend existiert so etwas wie Trampen nicht und die übliche Trampergeste kann man getrost vergessen. In meiner Fantasie war ich fasziniert von diesem ungewissen Vorhaben. Auf der Karte findet man eine Straße. Also wollte ich es probieren. Ich hatte keine großen Vorbereitungen oder Pläne gemacht, doch ich hatte Vertrauen – Vertrauen, dass ich mich schon irgendwie durchschlagen werde. Das war mein Plan.
Uiguren
Mein Brief
Mein chinesischer Brief sollte mir bei meinem Vorhaben helfen. Er stellt mich und das Konzept des Trampens vor:
Hallo, ich heiße Niko komme aus Deutschland. Ich reise gerne und mir gefällt China. Darum bin ich hier. Wenn es okay für Sie ist, würde ich gerne bei Ihnen im Auto mitfahren, auch wenn ich kein Geld habe, um dafür zu bezahlen. Fahrt mich bitte nicht an die Bushaltestelle oder den Bahnhof, sondern setzt mich einfach an Tankstellen und Rastplätzen ab. Von dort aus kann ich ein weiteres Fahrzeug finden. Macht euch bitte keine Sorgen, ich mache das freiwillig 😉
Vielen Dank!
Als ich also an der ewigen Schlange von chinesischen und kirgisischen LKWs vorbei marschierte, war ich frohen Mutes, noch nicht ahnend, was für Probleme an der chinesischen Grenze auf mich warten würden. Einige LKW-Fahrer winkten mir zu und wechselte einige Worte auf Russisch mit mir. Sie wünschten mir Glück.
Wie kriege ich das nur hin?
An der Grenze wurde mir mein Pass abgenommen und ich wurde nach draußen geschickt. Ich hatte keine Ahnung, was gerade passierte. Keiner der Beamten sprach Russisch oder Englisch, aber ich sollte warten. Schließlich klärte mich ein Kirgise auf Russisch auf, ich solle hier warten und müsse ein Taxi zum Grenzposten im Landesinneren nehmen. 100 Yuan, fast 20€, solle der Spaß kosten. Was für eine Geldmacherei! Alle zwei Minuten sah ich langsam einen LKW die Grenze passieren. Es wäre ein Leichtes gewesen hier einen LKW zu trampen. Ein Taxi war also keine Option für mich. Das habe ich den Beamten vermittelt. Doch ich traf auf Null Toleranz. Dann bleibst du eben hier, meinten sie. Die einzige Option sei dieses Taxi. Ich glaubte, wenn ich einfach nur hartnäckig blieb, werden sie mich schon irgendwann machen lassen. Also ließ ich das einzige Taxi ohne mich fahren und wandte mich an einen höhergestellten Beamten, dessen Gunst ich mir erhoffte. Keine Chance. Was ich auch probierte, die Beamten ließen mich links liegen. Meinen chinesischen Brief lasen sie und ignorierten ihn dann. Als es zu regnen begann, ließen sie mich draußen im Regen sitzen. Ich könne ja hier draußen übernachten, verhöhnten sie mich. Und der Taxifahrer, der sich mit diesem Monopol eine goldene Nase verdiente (ich tippe auf Beziehungen), lachte verächtlich als er an mir vorbei lief, um sich drinnen mit Tischtennis die Zeit zu vertreiben.
Ich war wütend und merkte gleichzeitig, dass ich hier mit dem Kopf durch die Wand wollte und ich so nicht weiter kam. Gleichzeitig stellte ich mich auf eine unangenehme Nacht ein. Wenn ich ehrlich zu mir war, bereute ich es, nicht in das Taxi gestiegen zu sein. Ich hatte gewettet und verloren. Darum saß ich hier nun im Regen und mit knurrendem Magen…
Es wird nicht leichter…
Nach etwa zwei Stunden kam ein Beamter auf mich zu, es gebe ein neues Taxi, ob ich das nehmen wolle. Ich wusste, dass war meine einzige Möglichkeit und bezahlte zähneknirschend die 100 Yuan.
Der Fahrer fuhr bis zum eigentlichen Grenzposten, der sich weiter im Landesinneren befand und ließ mich nachdem der Pass gestempelt wurde hinter der Grenze aussteigen. Es war mittlerweile schon dunkel, doch ich wollte es noch bis zur nächsten Stadt namens Kashgar schaffen. Ich hatte kein Problem damit in der Nacht zu trampen. Einen Taxifahrer wimmelte ich ab. Nach ein paar Metern holte er mich mit seinem vollen Taxi ein und meinte, ob er mich nicht wenigstens den Kilometer zum Bahnhof mitnehmen könne. Er zeigte mit den Fingern „zwei“ und ich fragte: „Two?“. „Two“, bestätigte er. Also quetsche ich mich in das schon volle Taxi und das nächste Drama nahm seinen Lauf. Der Taxifahrer wollte für den laschen Kilometer im vollgestopften Taxi nun 20 Yuan und nicht 2 Yuan. Ehrlich gesagt war das überhaupt keine Option für mich ihm diesen Preis zu zahlen. Der Taxifahrer wurde sehr wütend und ich wurde von Leute umkreist, die alle auf mich einredeten. „Zwei bedeutet 20!“, erklärten sie mir. Doch ich ließ mich nicht nocheinmal abziehen. „Genug ist genug!“, dachte ich mir und streckte dem Taxifahrer 2 Yuan entgegen. Einen Preis, für den ich für eine solch kurze Strecke in anderen Ländern ein Taxi für mich alleine bekommen hätten. Der Taxifahrer nahm mir das Geld aus der Hand und schleuderte es mir entgegen. Umkreist von anderen Uiguren, stand ich alleine. Der Taxifahrer wollte den Kofferraum nicht öffnen bis ich ihm das Geld geben würde. Ich brodelte innerlich und wollte auf keinen Fall nachgeben. Da fiel mir die Polizeistation in etwa 50m Entfernung auf. Ich fotografierte das Nummernschild und warnte den Taxifahrer, dass er mir meine Rucksack geben solle, sonst gehe ich zur Polizei. Er blieb unbeeindruckt und forderte mich sogar auf zur Polizei zu gehen. Ich lief zum Polizeiposten.
Als ich mit dem Polizisten in schwarzer Sicherheitsweste wieder kam, entbrannte die selbe Diskussion erneut. Ich redete ruhig auch wenn ich innerlich wütend und aufgebracht war. “ Der Taxifahrer hingegen schrie und verhielt sich drohend aggressiv mir gegenüber. „Is this okay?“, „Is this something that is okay?“ wandte ich mich ruhig, aber eindringlich an den Polizisten während ich den Taxifahrer ignorierte. Kurz darauf wies der Polizist den Taxifahrer an den Kofferraum zu öffnen und ich packte meinen Rucksack. „Das ist anstrengend!“, sprach ich innerlich zu mir und machte mich ohne genaue Orientierung davon.
Auf der Straße versuchte ich nun vergeblich Autos anzuhalten. Ich kam mir dabei vor wie ein unbeholfener Sonderling. Kein Auto stoppte. Zwei aufgebrachte Damen und ein Herr, die gerade spazieren gingen, wollten mir helfen. Meinen Brief konnten sie allerdings nicht lesen, da sie kein Chinesisch sprachen. Daher hielten sie einen großen Polizeiwagen an, der eher an einen Panzer als an ein Auto erinnerte. Ich reichte den Beamten meinen Brief und packte mein charmentestes Lächeln aus, doch wirklich kam dabei nichts heraus. Trotzig dachte ich mir „Okay. Du hast Zeit, nehm es einfach gelassen. Wir sind nicht mehr in den Bergen und es ist warm draußen. Du kannst hier gut draußen schlafen.“ Während mir neben der Straße eine Art Weinfeld als möglicher Übernachtungsort ins Auge fiel.
Erschöpft und unsicher, wie es weiter geht
Auf Abwegen in der Nacht (Pt. 2/5)