Der Angriff der Schakale

Während Marisha anfing kleines trockenes Geäst zu sammeln fuhr Alexander mit mir hoch in den Wald. Wir hatten uns dazu entschieden, an einem der letzten verwilderten Orte Bulgariens zu übernachten – dem Kap Emine. Dieses Felsenkap markiert den östlichsten Ausläufer des Balkangebirges. Dafür brauchten wir nun Holz, um ein Feuer für die Nacht zu haben.

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Mit einer ordentlichen Portion Wagemut steuerte Alexander den für Autos eigentlich unzugänglichen Weg in den Wald. Es war so steil und geländig, dass man es nur mit hoher Geschwindigkeit schaffen würde. Also bretterten wir mit entsprechender Fahrt den Berg hinauf. Irgendetwas ließ ihn dabei annehmen, dass schon alles gut gehen würde. In dem Moment sah ich den kühnen Abenteurer in Alexander.

Im Wald sammelten wir genug Holz für die Nacht und Alexander packte alles nach Maßarbeit ins Auto. Wieder unten angekommen packten wir das ganze Holz auf einen großen Haufen neben unsere Rucksäcke. Marisha und Alexander ließen uns ein regelrechtes Prachtmahl da: 4 dicke Stücke frisches Fleisch, Salat, Gemüse und wir hatten noch Reis, außerdem Geschirr und einen Rost zum Grillen. Es hat mich berüht zu sehen, wie die beiden alles dafür gaben, dass wir eine gute Zeit hatten. Am nächsten Morgen wollten sie uns gegen neun Uhr wieder abholen und zur nächsten Tankstelle fahren. Beim Abschied erwähnten Marisha noch, dass wir das Fleisch auf jeden Fall noch heute Abend essen sollten, ansonsten bekämen wir Besuch.

Als die beiden weg waren, planten wir unser Lager. Wo soll unser Schlafplatz sein und wo das Feuer? Es war eine klare Nacht ohne Wind. Daher wollten wir ohne Zelt direkt unter dem Himmel schlafen, um die freie und wilde Atmosphäre der Nacht zu erleben. Wir starteten das Feuer und fingen an das Essen vorzubereiten.

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Ich war stolz auf mein Feuer. Vermutlich hatten wir genug Holz für die ganze Nacht. Wir kochten Reis und Gemüße über dem Feuer und als wir das Fleisch auf den Rost über der Glut legten, rauchte es kräftig und der Fleischgeruch stieg uns in die Nasen.

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Eine ganze Weile saßen wir so da, kümmerten uns um das Essen und das Feuer. Ganz für uns in der Stille der rauen Natur. Doch dann hörte ich plötzlich ein merkwürdiges Heulen aus dem Gebüsch. Sofort sah ich Tomek an. „Da sind zwei Hunde im Gebüsch…“, stellte er fest. Dann hörten wir das Heulen erneut und Tomek fügte hinzu: „… und sie sind ziemlich nah.“ Ich hatte nicht das Gefühl, dass das Hunde waren und entgegnete: „Und du bist sicher, dass das Hunde sind?“ Für mich hörte sich das mehr nach Wolfsheulen an. Wir standen auf und lauschten. Wir leuchteten in die Dunkelheit zu den Büschen, von wo wir das Heulen gehört hatten. Und sahen… nichts. Ich wusste, dass Wölfe scheue Tiere sind, darum gab ich erst einmal einen lauten Schrei in die Nacht. Ich wollte, dass die Tiere wissen, dass das hier unser Platz ist. Doch offenbar hatten sie das schon mitbekommen…

Mit dem Gefühl erfolgreich unseren Lagerplatz verteidigt zu haben, widmeten wir uns wieder dem Essen. Doch das Heulen war nicht verschwunden. Im Gegenteil, es war näher gekommen. Entschlossen griff ich mir einen stabilen Stock. Wir standen auf und liefen in die Richtung der Gebüsche, aus denen wir das Heulen gehört hatten. Erneut schrien wir so laut wir konnten, um die Tiere endgültig zu vertreiben. Dann legte ich meinen Stock neben das Feuer, um uns damit gegebenenfalls verteidigen zu können – nur für den Fall der Fälle. Eigentlich hatte ich keine übertriebene Sorge wegen Wölfen, da ich sie für eher scheue Tiere hielt. Doch tatsächlich waren unsere Versuche die Tiere zu vertreiben vergeblich und das war, was mich beunruhigte. Das Fleisch war so am Qualmen und Schmoren, dass ich vermutete, dass das die Tiere angelockt hatte.

Innerhalb kürzester Zeit hörten wir das Heulen aus allen Ecken direkt um unseren Lagerplatz herum. Es gab nun keinen Zweifel mehr daran, dass die Tiere uns eingekreist hatten und sich nicht mehr vertreiben ließen. Als ich in die Dunkelheit leuchtete sah ich Augen aus den Gebüschen funkeln und mir war klar, jetzt müssen wir handeln! Ich hatte das sichere Gefühl, dass wir nur wenige Sekunden Zeit haben. Doch was sollten wir tun? Wohin könnten wir fliehen? Ich sah mich um und versuchte schnell die Optionen durchzugehen. Es gab keine Schutzmöglichkeit… dann fiel mir plötzlich das Haus ein, an dem wir bei Tage vorbeigefahren waren. Dort war eine Art Villa mit hohem Zaun, etwa 100m von uns entfernt. „Wir könnten über diesen Zaun klettern… Dort wären wir sicher.“, dachte ich mir. Ohne Zeit durch weiteres Nachdenken zu verlieren, packte ich meine Stirnlampe um den Hals, so dass ich die Tiere bei einem Angriff blenden könnte. In meine freie Hand nahm ich den kräftigen Stock, den ich neben das Feuer gelegt hatte. Ich war davon überzeugt, dass das Bestes was man bei einem Angriff tun kann, ist sich ordentlich zu wehren! Tomek bewaffnete sich mit seinem Pfefferspray und so schlichen wir dicht an dicht durch die Dunkelheit in Richtung des Hauses. Die Stille war mir nicht geheuer und ich war darauf gefasst, dass uns ein Wolf aus der Dunkelheit heraus anfallen würde und ihm einen kräftigen Hieb mit meinem Stock zu verpassen.

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An der Villa ankommen schien kein Licht und die Rolläden waren heruntergelassen. Wir waren uns relativ sicher, dass dort im Moment niemand wohnte. Marisha hatte uns erzählt, dass hier jetzt im Winter, wenn überhaupt, 10% der Häuser bewohnt sind. Doch wir hatten sowieso keine Zeit nachzudenken, darum zog ich meinen Rucksack aus und kletterte über den Zaun. Anschließend gab mir Tomek beide Rucksäcke über den Zaun und kletterte hinterher. Wir waren im Garten.

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Um keine Aufmerksamkeit zu erzeugen prüften wir die Umgebung so gut es ging ohne Taschenlampe. Es sah auch so schon genug danach aus, als wären wir Einbrecher. Als wir um die Ecke schlichen, sahen wir geschockt, dass in der Einfahrt ein Auto stand, ein grauer Geländewagen. War da doch jemand im Haus? Mir fiel keine Erklärung ein, warum jemand sein Auto hierlassen sollte. Auf der einen Seite hatte ich zwar Angst vor den Wölfen in der Dunkel, aber hier einfach einzusteigen hielt auch irgendwie für riskant. Darum beschlossen wir, am Besten an der Türe zu klingeln. Falls jemand da sein sollte, könnten wir mit den Leuten reden und falls nicht wüssten wir auch Bescheid.

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Wir klingelten mehrmals. Es schien niemand da zu sein. „Okay, lass uns die Sachen essen. So schnell wie möglich.“ Wir setzten uns auf den Boden und aßen zuerst das Fleisch, dann den Reis, den Salat und das Gemüse. Wir aßen alles, was wir essen konnten. Dann überlegten wir uns, was wir mit den Resten machen sollten. Wäre es besser die Töpfe mit den Resten innerhalb des Zauns zu lassen oder außerhalb? Außerhalb locken wir die Tiere vielleicht erst recht an und wenn sie erst einmal angefüttert sind, wollen sie mehr und versuchen einen Weg durch den Zaun zu finden. Auf der anderen Seite dachten wir, wenn hier drin kein Essen ist, dann haben sie keinen Grund den Zaun zu überwinden. Also schoben wir das Essen unter dem kleinen Spalt des eisernen Zauns hindurch. Zu dem Zeitpunkt sorgte ich mich schon darum, ob der Zaun wohl dicht halten würde und ob der Zaun überhaupt das ganze Haus umfasste. Eine offene Stelle über die die Tiere auf das Gelände kommen könnten, könnte ein Problem sein.

Im Dunkeln schlichen wir um das Haus auf der Suche nach einem geeigneten Platz für unsere Schlafsäcke. Wir entschieden uns dazu, uns direkt auf die Terasse, zwischen Haus und Jeep zu legen. Dies schien uns der am besten geschützte Ort zu sein. Seit wir auf dem Grundstück waren, hatten wir kaum mehr Heulen gehört, doch wenige Minuten, nachdem wir in unsere Schlafsäcke gekrochen war, fing es plötzlich wieder an. Wir hörten die Tiere heulen und um das Haus laufen. Nun dachte wieder an den Zaun. Würde er wirklich Wölfe aufhalten? Wölfe in der Nacht, die keine Scheu zu haben scheinen, machten mir mehr als nur Sorgen, sie machten mir Angst. Der Gedanke daran, dass die Wölfe irgendwo eine Möglichkeit finden könnten, einen Weg über oder um den Zaun zu finden, lies mir keine Ruhe. Der Gedanke quälte mich so sehr, dass ich unsere Verteidigungsstrategie mit Tomek besprach. Die Strategie bestand darin, in die geschützte Ecke zu gehen, die Tiere mit Licht zu blenden und uns mit Pfefferspray und Messern zu wehren. Das Heulen war direkt bei uns und die Tiere schlichen um den Zaun. Ich hoffte nur noch, diese Nacht irgendwie zu überstehen.

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Plötzlich hörten wir ein anderes lautes Geräusch. „Was war das?“, fragte mich Tomek. „Vielleicht unser Topf mit den Essensresten, der heruntergefallen war.“ Tomek hatte die selbe Ahnung. „Sollen wir nach schauen?“, fragte ich und Tomek verneinte. Ich fand jedoch keine Ruhe und musste nachschauen. Außerdem wollte ich den Zaun prüfen. Darum stand ich auf, zog meine Schuhe an und nahm mir die Taschenlampe und das Pfefferspray. Ich leuchtete vorsichtig zu dem Zaun, um keine Nachbarn auf uns aufmerksam zu machen. Dann lief ich zur Rückseite des Hauses, wo wir den Topf hingestellt hatten. Es war still.  Ich leuchtete an die Stelle, an die wir die Töpfe gestellt hatten. Tatsächlich fehlte ein Topf. Ich leuchtete, doch ich konnte ihn nicht mehr finden. Das Adrenalin in meinem Körper ging in dieser Nacht nicht mehr zurück. Bis zum Morgengrauen blieb ich in Alarmbereitschaft und lauschte jedem Geräusch um uns herum.

Als es zu dämmern begann, fühlte ich mich wie erlöst. Wir packten unsere Sachen zusammen und stiegen zurück über den Zaun. Ich sah nach meinem Topf und konnte ihn nach einer kurzen Suche nicht weit vom Zaun wieder finden. Er war völlig leergefressen.

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Als wir an unserer Feuerstelle ankamen und ich auf das Dorf blickte, war ich einfach nur froh, dass es mir gut ging. Ich spürte wie die Angst von mir abfiel und schätzte die Tatsache am Leben zu sein.

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Als Alexander und Maria gegen 10 Uhr wiederkamen, luden sie uns noch auf eine Tasse Kaffe in dem nahen Ort Emona ein. Die Besitzerin war sich sicher als sie unsere Geschichte hörte: „Das waren Schakale!“ Dann fügte sie hinzu: „Die heulen genauso angsteinflößend wie Wölfe, aber wären das Wölfe gewesen, dann würdet ihr jetzt nicht hier sitzen!“ Dann brachte sie Tomek und mir Frühstück und Maria übersetzte: „Das geht aufs Haus!“

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1 Comment

  1. Brot says:

    Bam das Spannendste dass ich seit langem gelesen habe. Wow

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